ArtDeCom Medientheorie (Only available in german) |
Wir leben ja nicht gegenüber sondern in der Welt |
Tastatur und Maus sind die dominierenden Eingabeinstrumente zur Steuerung des Computers. Die Ergebnisse, die der Rechner auf Grund der Eingaben generiert, werden üblicherweise auf einem Bildschirm abgebildet. Der Bildschirm präsentiert uns eine Welt "hinter" der Mattscheibe. Die digitale Welt, die wir sehen, ist - sinnbildlich gesprochen - vor bzw. gegenüber unserer erlebten physischen Welt. Die Geschichte der Medien zeigt, dass die Eingabe- und Steuerungsinstrumente, Tastatur und Bildschirm, aus analogen Medien entwickelt wurden, die einem cartesianisch geprägten Weltbild entspringen. Tastatur und Maus sind eine mediale Schnittstelle wie die Schreibmaschine, die wiederum mit ihren linearen Codes auf der Schrift beruht. Der Bildschirm ist wie Fernseher, Film und Fotografie letztendlich auf das Tafelbild zurückzuführen. Schrift und Tafelbild stammen jedoch aus der Zeit, in der die Welt noch getrennt gedacht wurde in die res cogitans (Welt des Geistes) und die res extensia (physische Welt). Um Welt heute adäquat zu begreifen und in ihr differenziert handlungsfähig zu sein, ist es nötig, sich das bereits im 20. Jahrhundert herausgebildete Weltbild zu vergegenwärtigen. Dazu gehören die digitalen Medien, die genuin als solche verstanden werden sollten, um in ästhetischen Bildungsprozessen kommunizieren und handeln zu können. Dabei geht es darum, den Fokus zu richten auf die "Aisthesis", die Sinne, die Sinnlichkeit und die Wahrnehmung sowie auf das tatsächliche Erleben, das ich als Handelnder inmitten der Welt habe. Bereits der Phänomenologe Merleau-Ponty
[link 01] [1] akzentuierte, dass Wahrnehmen ein aktiver handlungsgebundener Prozess ist. Die Konstruktivisten Maturana und Varela formulierten später in ihrem Hauptwerk: "Jedes Tun ist Erkennen und jedes Erkennen Tun."
[link 02] [2]
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Interaktive Medienkunst und Tangible Media in Bildungsprozessen |
Nach neueren relationalen (nicht intrinsischen) Definitionen, etwa im Sinne eines Clusterbegriffs
[link 03] [3], ist die künstlerisch relevante Eigenschaft der digitalen Medienkunst in ihren kommunikativen Prozessen
[link 04] [4] die Differenzierungsleistung zur Neustrukturierung des Wahrgenommenen. Wenn Medien Erweiterungen unseres Körpers sind
[link 05] [5], dann spielt auch in der digitalen Medienkunst die Produktivität der sinnlichen Erfahrung im Zusammenspiel mit der Vernunft eine wesentliche Rolle. Voraussetzung für Sinnentfaltung ist das Erleben von Ereignissen. Dabei trifft - die an einen konkreten Körper gebundene - Subjektivität immer auf eine allgemeine Sicht des menschlichen Vermögens. Jede menschliche Aktivität bewegt sich zwischen dem Geprägtsein durch Kultur und Gesellschaft und dem Abwerfen dieser Prägung, um sie dann durch eine individuelle oder im sozialen Kontext selbst erlebte und bewertete Konstruktion zu ersetzen. Eine Besonderheit digitaler Medienkunst ist die Interaktivität. Neben interaktiver Netzkunst finden wir zunehmend interaktive Environments
[link 06] [6], die den physischen Raum mittels Tangible Media stärker einbeziehen als die interaktiven Installationen mit konventionellen Schnittstellen
[link 07] [7]. Anders als bei den herkömmlichen interaktiven Medien, die ausschließlich durch GUIs (Graphical User Interfaces) und durch leicht erweiterte alphanumerische Codes (Tastatur und Maus) zu steuern sind, wollen wir in ästhetisch-informatischen Bildungsprozessen den Computer auch durch TUIs (Tangible User Interfaces) steuern. Diese TUIs ermöglichen durch alternative Schnittstellen (etwa Tast- und Geräuschsensoren, Bild- oder Spracherkennung), dass bei Interaktionen mit dem Computer eine Vielzahl unserer Sinne synästhetisch einbezogen wird. Die BenutzerInnen verhalten sich ähnlich wie in natürlichen Formen der Kommunikation und Interaktion. Das Ziel der TUI ist die direkte Manipulation digitaler Informationen. Der mediale Prozess bei der Verwendung von Tangible Media richtet sich stärker auf die Interaktion selbst. Er erfolgt beispielsweise über die Bewegung und Platzierung realer Objekte, die vom Rechner registriert werden. Durch die stärkere Einbeziehung von Tangible Media in Bildungsprozessen möchten wir die Kluft überwinden, die sich historisch gesehen zwischen der "realen Welt" und der "virtuellen Welt" interaktiver, künstlicher Systeme aufgetan hat.
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Zeichentheoretische Betrachtung ästhetisch-informatischer Bildungsprozesse |
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[link 08] Abbildung vergrößern |
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Wie erhalten wir uns die Fähigkeit, kritisch gegenüber der Kultur und Gesellschaft zu sein? Wie erhalten wir uns die Möglichkeit, die gesellschaftliche Prägung abzuwerfen und als freie Individuen verantwortlich zu handeln, wenn in der Schule ikonische Formen der Semiose
[link 11] [8] in Lernprozessen ausgespart bleiben? Die Antwort ist: Wir benötigen neue Formen von Bilderfahrung, die sich auf unser körperliches Dasein beziehen und den Prozess der visuellen Wahrnehmung vielschichtig (auch künstlerisch) reflektieren. Wir brauchen hybride Handlungs-, Kommunikations- und Lernräume, die mentale Modelle mit körperlicher Wahrnehmung und körperlichem Handeln verbinden. Ziel ist es, digitale Technologien und synästhetische, körperliche Wahrnehmung zu vereinen. Mit der
[link 12] ikonischen (bildhaften) Programmierung können anschauliche mentale Modelle von komplexen interaktiven Systemen erstellt werden. Ikonische Elemente lassen sich mit real-physischen Ereignissen verbinden. Eine zeichentheoretische Betrachtungsweise im Sinne der Peirceschen Semiotik
[link 13] [9] trägt zur weiteren Klärung der Rolle von bild- und ereignisbezogenen Kommunikationsformen bei. Von den ikonischen Zeichen sind es vor allem die Qualizeichen, die vom interpretierenden Subjekt emotional erfahren werden. Sie haben die Gestalt von physisch realen Objekten oder Ereignissen. Künstlerische Artefakte sind oftmals Zeichen, die dieser Beschreibung nahe kommen.
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| Die drei Kategorien von Zeichen weisen einen unterschiedlichen Abstraktionsgrad zur physischen Welt aus. So haben etwa Qualizeichen, Ikon und Rhema einen dichteren Bezug zur physischen Welt.
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Die gesellschaftliche Praxis, in der gerade Kinder und Jugendliche sich digitaler Medien annehmen, unterscheidet sich stark von der Art und Weise, wie wir im schulischem Kontext damit arbeiten. Semiotisch gesehen benutzen die Programme, die für gewöhnlich auf den Rechnern installiert sind, hoch abstrakte Zeichen, also Zeichen, die in ihrem Objektbezug stark indexikalisch und symbolisch ausgerichtet sind. Wenn nicht nur Kinder und Jugendliche in zunehmendem Maße mittels digitaler Räume kommunizieren (sich z.B. als Avatare in interaktiven 3D-Räumen treffen), so liegt das daran, dass diese Räume ganz und gar für unseren körperlichen Blick eingerichtet sind. Wie alle Bilder liefern sie weniger Informationen als Anschauung - und zwar die Illusion von Anschauung.
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Strategiebildung im Umgang mit der Welt |
Heute bedeutet "in der Welt sein" "im Bild sein". Mit den neuen digitalen Medien, die in Echtzeit wiedererkennbare 3D-Räume generieren (etwa mittels MUDs - Multi-User-Dungeons in den Computerspielen
[link 14] "Die Sims"
oder
[link 15] "Dark Age of Camelot"
- oder mittels des
[link 16] Atmosphere Browsers),
ist es uns heute möglich, in Form von Avataren unmittelbar mit dem Bild und mit anderen Personen zu interagieren. Doch wie steht es um die Rolle des Körpers in diesen virtuellen Räumen? Der Körper des Menschen ist ein Medium in einem doppelten, widersprüchlichen Sinne: So ist er Ort eigener und kollektiver Bilder, welche durch die aktuellen Bilderfahrungen seiner Umwelt entstanden sind. Er ist aber auch Träger von Bildern, indem er sich selber zum Bild macht und als Bild agiert. Mittels digitaler Applikationen werden wir zusehends in die Lage versetzt, den Bilderfluss in unserem Kopf spontan in die mentale Produktion von virtueller Realität umzusetzen. Der Körper ist Wahrnehmender (Blickender) und Wahrgenommener (Erblickter) zugleich. Wir richten einen ähnlichen Blick auf Bildkörper wie auf lebende Körper und gleichen die fehlende Lebendigkeit durch Animation und Bildglauben aus. Avatare in interaktiven 3D-Räumen sind ganz und gar für unseren körperlichen Blick konzipiert. Wie Bilder liefern sie die Illusion von Anschauung. Doch wo bleibt in den digitalen Bilderwelten der Mensch selbst mit seinem Körper? Dieser Körper ist dank seiner handlungsbezogenen, multisensuellen Wahrnehmungsfähigkeit ein Garant für adäquate Wahrnehmung.
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[1] Merleau-Ponty, M. (1974): Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin: Gruyter [2] Maturana, H. , Ludewig, K. (Übersetzer): Der Baum der Erkenntnis, Bonn: Goldmann, 1990 [3] Bery Gaut, B.: "Kunst" als Clusterbegriff, in: Bluhm, R. , Schmücker, R. (Hrsg.), Kunst und Kunstbegriff - Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik, Paderborn: Mentis, 1993, S. 140-165 [4] Vgl. Winkler, T.: Die Phänomenologie des Maurice Merleau-Ponty als ungeschriebene Kunstphilosophie, Universität Hamburg, Dissertation, 1994, insb. S. 184-185. [5] Vgl. McLuhan, M.: Understanding Media: The Extension of Man, New York: McGraw-Hill, 1964 [6] Kenneth Rinaldo: Autopoiesis, 2000, eine Robotic-Sculpture-Installation, Kiasma Museum, Helsinki. [7] Z.B. die interaktive Installation von Luc Courchesne: Portrait no. 1, 1990, ZKM, Karlsruhe [8] Semiose = Bildung und Gebrauch von Zeichensystemen [9] Peirce, C. S.: The Philosophy of Peirce: Selected Writings, Buchler, J. (Hg), Routledge and Kegan Paul Ltd., 1940, S. 98ff.
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