Inhaltliche Beschreibung
Das MACKE LABOR greift die Vorzüge des bereits museumspädagogisch erprobten Audio Guides auf, stellt aber eine andere Technologie zur Verfügung, aus der sich neue Möglichkeiten ergeben. Auch bisher bestehende Probleme, so etwa das lästige 'Abfragen' der einzelnen Exponate, die Unbequemlichkeit des Tragens und das Mithören im Gedränge, können nun gelöst werden. Als temporäre Einrichtung im Kunstmuseum Bonn bindet das MACKE LABOR die neue Audiotechnologie LISTEN in ein pädagogisches Environment ein. Via Kopfhörer taucht der Besucher in einen die Ausstellung erweiternden Klangraum ein. Das Environment MACKE LABOR experimentiert mit neuartigen akustischen Möglichkeiten und macht unterschiedliche Perspektiven auf die Kunst von August Macke zugänglich: Kritiker, Kunsthistoriker und Restauratoren 'kommen zu Wort' und treten dem Besucher im Hörerlebnis eines Features entgegen. Welche Beiträge jeweils zu hören sind, hängt von der Kopfrichtung des Besuchers und seiner spontanen Bewegung im Raum ab.
Einige Monate zuvor war die LISTEN Technologie bereits als künstlisches Medium im Rahmen der audiovisuellen Installation `Raumfaltung´ von Beat Zoderer, Ramón González-Arroyo, Gerhard Eckel und Oswald Egger erprobt worden und Teil einer Ausstellung im Kunstmuseum Bonn (Kunstmuseum Bonn: Beat Zoderer - Der doppelte Boden ist tiefer als man denkt. Ausst. 6. Juli - 14. September 2003).
Im Anschluss daran entstand die pädagogische Anwendung im MACKE LABOR, ebenfalls im Kunstmuseum Bonn. Gerhard Eckel schreibt: „Mit dem MACKE LABOR präsentiert das Projekt LISTEN zum zweiten Mal im Kunstmuseum Bonn. Nach der Installation `Raumfaltung´, die das künstlerische Potential des neuen Mediums Listen im Sommer 2003 überzeugend demonstriert hat, präsentieren wir jetzt ein Beispiel aus der Kunstvermittlung. Im MACKE LABOR werden die neuen Gestaltungsmöglichkeiten der LISTEN Technologie pädagogischen Zielen untergeordnet. Dabei wird die für LISTEN typische Anpassung der Audioinhalte an das Verhalten der Besucher im Raum zum ersten Mal in einer realen Ausstellung mit historischen Kunstwerken ausgelotet. Das Ergebnis ist ein Klang- und Informationsenvironment, das weit über die Möglichkeiten der bekannten Audio-Guides hinausgeht und das versucht, das Publikum auch auf der sinnlichen Ebene anzusprechen. Nach professionellen Richtlinien der Radiokunst inszeniert und produziert, lädt das MACKE LABOR sein Publikum ein, mit einer Art Raumfeature zu experimentieren, das sich mit den authentischen Kunstwerken zu einer neuen Art der Museumserfahrung verbindet. In diesem sogenannten Audio-Augmented-Environment bewegt man sich frei und ohne mit der Technologie direkt interagieren zu müssen. Damit wird ein weiterer wesentlicher Aspekt von LISTEN deutlich, nämlich das Zurücktreten der Technologie zugunsten der ästhetischen Erfahrung: Man setzt sich den LISTEN-Kopfhörer auf, und schon bewegt man sich mühelos durch die Welt August Mackes in Ton und Bild.“
Als pädagogische Anwendung baut das MACKE LABOR auf der LISTEN-spezifischen Möglichkeit auf, Sprache in virtuellen Klangräumen zu inszenieren. So können auch verschiedene Textarten und auditive Ebenen miteinander kombiniert werden. Joachim Gossmann, Julia Hagenberg und Annelie Kürsten: „Die unterschiedlichen Sprachebenen sind durch eine jeweils andere Raumakustik markiert, die Zitate mit Klangcollagen unterlegt. Hierbei greifen akustische und räumliche Inszenierungen aufeinander: In der Kombination von Bildern, Klangereignissen und Ausstellungsarchitektur ist eine inhaltliche Topographie angelegt, die, einer Landkarte vergleichbar, ausgewählte Orte und Situationen in Mackes Leben umreißt. (...) Durch die physische Navigation, das Umhergehen und Herantreten an Bilder bewegt sich der Besucher durch einen Meta-Raum, durch eine Datenbank.“
Gerhard Eckel erläutert (in einem Interview mit Sabine Breitsameter im September 2003, SWR2):
„Das LISTEN-System besteht im Wesentlichen für die Benutzer aus einem Funkkopfhörer, also einem drahtlosen Kopfhörer, der darüber hinaus auch noch zwei Antennen besitzt, die den restlichen im Raum installierten Antennen erlauben, diese Person, die den Kopfhörer trägt, in dem Raum zu verorten. Also wissen wir immer genau, wo diese Person rumläuft. Dahinter verbergen sich dann mehrere Computersysteme. Das eine ist eben dieses System, das die Position berechnet. Das zweite ist das System, das ein Modell des realen Raumes beinhaltet. Und die dritte Komponente ist ein Programm, das die Verräumlichung der Klänge übernimmt. Diese Programme sind miteinander in einer bestimmten Art und Weise verbunden, so dass sie dieses neue Medium LISTEN ermöglichen.
(...)
Das LISTEN-Projekt erlaubt uns Klang, Körper und Raum in ein neues, komponierbares Verhältnis zu bringen. Das heißt, wir haben zum ersten Mal die Möglichkeit, die drei Aspekte der Wahrnehmung - die Eigenwahrnehmung, die Raumwahrnehmung, im visuellen Sinne oder auch im taktilen Sinne, und die akustische Raumwahrnehmung und Klangwahrnehmung - miteinander ganz eng in Beziehung zu setzen.
(...)
Einerseits können wir eine virtuelle Klangwelt produzieren für die jeweiligen Besucher-Ohren mit virtuellen Schallquellen, die uns an gewissen Orten im Raum erscheinen, mit verschiedenen Akustiken, die wir durchschreiten können. Und andererseits wissen wir auch, wo sich die Person befindet im Raum, relativ zu den anderen Objekten im Raum, die uns interessieren. Und das erlaubt uns, auf das Verhalten unserer Zuhörer zu reagieren. Das heißt, wenn die von der einen Seite kommen, können sie etwas anderes hören als wenn sie von der anderen Seite kommen. Also wir wissen, wo sie sich im Raum bewegen, wo sie schon mal waren, wie schnell sie sind, was sie schon gehört haben. Und auf alle diese Dinge können wir in der Komposition reagieren. Es ist eine sehr enge Beziehung möglich zwischen dem Verhalten im Raum und dem Klang.
(...)
Mit dem LISTEN-System lassen sich akustische Topographien erzeugen, die in Realräumen vollkommen unrealisierbar sind. Damit unterscheiden wir uns auch von anderen Raum-Klangarbeiten. Wir haben es mit einem virtuellen akustischen Raum zu tun. Und das ist eigentlich eine Art "Augmented Reality" - die "reale" Wirklichkeit wird mit der Datenwelt vermischt. Wir bezeichnen es im Englischen manchmal als "Audio-Augmented Reality": Es ist eine Verbindung der Wahrnehmung im Realraum mit virtuellen akustischen Soundscapes.“
Das MACKE LABOR ist ein Teilergebnis des von der EU geförderten interdisziplinären Forschungsprojektes LISTEN, das die Erweiterung alltäglicher Umgebungen durch interaktive Klanglandschaften untersucht.
Projektbeschreibung LISTEN (http://listen.imk.fraunhofer.de/d.html):
„Erweiterung alltäglicher Umgebungen durch interaktive Klanglandschaften.
Den Benutzern von LISTEN wird ein interaktiver Zugang zu personalisierten und ortsabhängigen Audioinformationsräumen zur Verfügung gestellt, während sie ganz natürlich ihre alltägliche Umgebung erkunden. Eine neue Form von multi-sensorischen Inhalten wird angeboten, um die sinnliche, emotionale und pädagogische Wirkung eines breiten Spektrums von Anwendungen, die von Kunstausstellungen zu Marketing- und Unterhaltungsveranstaltungen reichen, zu erhöhen. Dies wird erreicht, indem die physikalische Umgebung durch eine dynamische Klanglandschaft, die die Benutzer über einen deren Bewegung ortenden, drahtlosen Kopfhörer erfahren, erweitert wird. Immersive, um Audioquellen erweiterte Umgebungen werden durch die Verbindung von hochauflösender räumlicher Audiowiedergabe-Technologie und anspruchsvoller Benutzermodellierungsmethoden erzeugt. Diese erlauben es, die Inhalte dem individuellen Verhalten der Benutzer im Raum anzupassen. Im Laufe des Projektes werden mehrere Prototypen und ein VR-gestütztes Autorenwerkzeug produziert. Technologische Neuerungen werden unter Laborbedingungen verifiziert, während die Prototypen in öffentlichen Ausstellungen evaluiert werden.
ERWEITERUNG Der ungewohnte Museumsbesuch beginnt mit einem Kopfhörer, den die Besucher wie eine leichte Kopfbedeckung aufsetzten. Ohne weitere Gerätschaften bewegen sie sich frei im Museum - begleitet von unterschiedlichen Klangsituationen. Ein erster Halt vor einem Gemälde liefert Informationen zum Werk. Mit der nächsten Kopf- und Körperbewegung trifft man auf eine neue Klangquelle. Eine Kommentatorenstimme erzählt vom Künstler oder beschreibt die Schaffensperiode, aus der das Bild stammt. In den Raum sind zahlreiche Informationen in Form von Tondokumenten eingeschrieben.
Die Szene wechselt. Ein neuer Ausstellungsbereich mit Bildern und musikalischen Klangtexturen lockt. Man durchschreitet einen mit Jazzklängen gefüllten Raumausschnitt, der eine Kuppelform beschreibt, trifft auf eine vertikal in den Realraum eingezogene Schicht zurückhaltender Klaviersequenzen und findet sich etwas später in einem unsichtbaren Kubus herabrieselnder Geräusche. Das in den Ausstellungsraum eingeschriebene Raumvolumen ist nach einem ausgefeilten Klangkonzept künstlerisch gestaltet. Ihrer individuellen Motivation folgend navigieren die Besucher ihre Körper durch das Klangambiente. Auf dieser Klang- und Sehreise verschmelzen Klangtexturen mit der visuellen, taktilen, olfaktorischen Szene. Der Museumsbesuch wird zur intuitiven, sinnlichen, körperlichen Erfahrung.
IMMERSION Raumillusionäre Audiolandschaften umschliessen die Betrachter. Es ist, als ob man in eine andere Klangwelt eintaucht, die sich über lokalisierbare Schallquellen überzeugend konstituiert. Subtil, dezent, wirkt sie im Hintergrund und zerstreut die Zweifel an der artifiziellen Welt. Die Betrachter empfinden sich gleichzeitig als Teil dieser Umgebung und darin als frei handelnde Subjekte. Eingebunden in die dreidimensionale Klanglandschaft, die auf ihre Bewegungen reagiert, entsteht ein Gefühl von Präsenz, sinnlicher Gewissheit, die die Täuschung vergessen macht.
FLANIEREN Das körperliche Erlebnis im dreidimensionalen Klang- und Bildraum ist dem Flanieren vergleichbar. Keine zusätzlichen Geräte stören beim Spaziergang. Frei begegnet man den Klängen und akustischen Räumen, verweilt, erfährt mehr, geht weiter. Mit Audioinformationen versehene Ausschnitte produzieren Lust auf weiteres Vertiefen des Gehörten. Im individuellen Parcours orientiert man sich an Klangstationen, reagiert auf die Verlockungen der akustischen Umgebung. Die auf den gesamten Körper einwirkende Kunstwelt generiert eine höhere Sensibilität für kontemplative Reize, die in der Klang- und Bildlandschaft verankert sind. Das anregende Flanieren sensibilisiert, öffnet die Sinne, bereichert um den spielerischen Gewinn neuer Erkenntnisse.
INTERAKTION Die Betrachter werden zu Interakteuren, sobald sie sich im Raum bewegen und das Computersystem als Reaktion Klänge über Kopfhörer abspielt. Den Benutzern steht ein immenses Repertoire an gezielten Audio-Informationen zur Verfügung, die, von Kuratoren und Künstlern ausgewählt, in das System eingespeist wurden und nun individuell abrufbar sind. Im Unterschied zum traditionellen Audioguide hat die erweiterte "intelligente", interaktive Audioumgebung ein Gedächtnis, d.h. sie registriert die Wiederholung einer Aktion und reagiert umgehend mit einem neuen Audio-Angebot. Es gibt keine Wiederholungsschleifen mehr. Die Interaktion und das Besucherverhalten werden analysiert, als Reaktion daraus werden mehrere Vorschläge gemacht und durch die Interaktion mit dem System wird ein persönlicher Besuchsparcours erstellt. Das System erscheint als ein auf individuelle Bedürfnisse reagierendes Gegenüber - ein virtueller, persönlicher Museumsführer.
INHALTE Geräusche, gesprochene Texte und Musik sind die Elemente, aus denen die Klangwelten gebaut sind. Entlang einer Folge von unterschiedlichen Positionen und Richtungen fügt sich das eingesammelte Material zu einer individuellen Geschichte zusammen. In einem additiven Prozess verbinden sich unter Umständen auch gleichzeitig Informationen über Texte, Assoziationen über Geräusche und Emotionen durch musikalische Elemente zu einem komplexen, stimmigen Szenario. So entsteht eine persönliche, dichte, illustrative Audioumgebung. Sie erweitert bekannte Audiopräsentationsformate wie das Radiofeature, das Hörspiel, die Filmmusik, die Klangtexturen von Computerspielen in die begehbare Raumdimension.“